Die New York Times huldigt der Porchetta
Der antike italienische Schweinebraten
von Julia Moskin
SAN TERENZIANO, Italien – An einem Nachmittag im Mai, als das Wetter unentschlossen war zwischen Sonne und Regen, wurde die Passion der Schweinefleischfans in diesem Ort Mittelitaliens auf eine harte Probe gestellt. Denn am Ende hatte der Regen kurz die Oberhand gewonnen, und die Massen zogen sich zurück.
Aber sobald sich die Sonne durch die Wolken zurückgekämpft hatte, füllte sich der Dorfplatz wieder mit Porchetta-Hungrigen: Der traditionelle italienische Braten, bei dem das gewürzte Schwein im Ganzen gegart wird, lockte Hunderte von Besuchern an. Es war der letzte Tag von Porchettiamo, einem Event zu Ehren der Porchetta, und einige Regenschauer konnten niemanden von der seltenen Gelegenheit abhalten, gleich ein gutes Dutzend verschiedener Varianten dieses beliebten Gerichts zu probieren.
Für die Zubereitung der Porchetta wird ein ganzes Schwein ausgenommen, entbeint, mit Knoblauch und Kräutern gefüllt und schließlich mit Haut solange gebraten, bis es außen knusprig und innen saftig und aromatisch ist. (Der Kopf bleibt dran, wodurch die fertige Porchetta wie ein Schwein in einem braunen Schlafsack aussieht.)
Sie wird in Scheiben geschnitten und in einem knusprigen Brötchen oder mit Fladenbrot serviert. Da das Schwein entbeint wurde, ähnelt jede Scheibe einer Spirale aus zartem Fleisch, Fett sowie Stückchen der knusprigen Kruste. Wie bei einem Schwein, das beim Barbecue in den USA im Ganzen gegrillt wird, besteht auch hier die Kunst darin, mit jedem Biss eine Mischung der drei Bestandteile zu erwischen.
Das Gericht ist in ganz Italien als Street Food verbreitet und fehlt auch auf Messen und Wochenmärkten nur sehr selten. Jedes Jahr werden ihm viele Volksfeste oder gastronomische Events gewidmet. Aber die Region Umbrien nimmt mit Stolz die Vorrangstellung als Geburtsort der Porchetta ein.
Sie ist ein einfaches Gericht, kein Meisterwerk des professionellen Metzgers wie die berühmten Wurstspezialitäten aus dem nahen Norcia, aber sie hat viele passionierte Anhänger. „Die Idee dazu kam mir im Traum“, hat Anna Setteposte, eine der Mitbegründerinnen des Festivals, einmal erzählt, dessen Slogan lautet: „Nicht nur ein Festival, sondern eine echte Liebeserklärung“.
Im Gegensatz zu den meisten Volksfesten mit gastronomischem Schwerpunkt bringt Porchettiamo zahlreiche Hersteller aus ganz Italien zusammen, wodurch Liebhaber die Porchetta in vielen verschiedenen Varianten probieren, vergleichen oder sich einfach den Bauch vollschlagen können.
Auf der einen Seite, am Stand der Antica Salumeria Granieri Amato, die im Jahr 1916 gegründet wurde, verteilten drei Generationen der Familie Granieri Stücke der knusprig gebratenen Kruste an Kinder. Ihr Wurstwarengeschäft stellt eine streng traditionelle Porchetta her und ist eine der letzten, die sie noch in einem Holzofen brät, wodurch sie einen geräucherten Geschmack erhält.
Auf der anderen Seite gab der junge Chefkoch Marco Gubbiotti von Cucinaa, ueinem „gastronomischen Projekt“ aus dem nahen Foligno, eine Gourmet-Version des Porchetta-Brötchens mit Apfelconfit und Fenchel aus.
Einige Hersteller verwenden reichlich Knoblauch, andere nur einen Hauch; einige geben die Leber zur Füllung, andere nicht; einige aromatisieren das Fleisch mit Rosmarin, während andere überzeugt sind, dass nur Fenchelsamen für den authentischen Geschmack Umbriens sorgen.
Der Respekt für die kulinarischen Traditionen war in der italienischen Kultur bereits verwurzelt, ehe sich die modernen Werte der Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit des lokalen Konsums verbreiteten. Eine Entwicklung, die wir u. a. der Organisation „Slow Food“ zu verdanken haben, die nur einige hundert Kilometer entfernt gegründet wurde. Bei Porchettiamo wurden wieder einmal die umbrische Verehrung für das Schwein sowie die große Leidenschaft für das reiche kulinarische und landwirtschaftliche Erbe der Region deutlich.
„Der Fenchel ist es, der für den typisch umbrischen Geschmack sorgt“, erklärt Barbara D'Agapiti, Inhaberin von Wine Link Italy und Fremdenführerin für lokalen Weintourismus. Fenchel wächst hier wild, und seine Samen haben einen erfrischenden Geruch nach getrocknetem Salbei mit Noten von Safran, Zitrone und Fenchel.
Bei Ausländern stehen Umbrien und seine Küche oft im Schatten der Toskana, an die die Region im Westen grenzt. Aber innerhalb Italiens wird Umbrien wegen seiner fruchtbaren Böden und seiner antiken landwirtschaftlichen Traditionen liebevoll als „das grüne Herz Italiens“ bezeichnet. Das Fleisch der Schweine, die auf seinen grünen Hügeln und in seinen dichten Wäldern gezüchtet werden, wird bereits seit der Zeit vor den alten Römern geschätzt.
Ein ganzes Schwein ist wohl eher unpraktisch – es sei denn, Sie wollen eine ganze Stadt verköstigen. Ansonsten können Sie gern auf ein beliebiges entbeintes Bratenstück zurückgreifen, das neben einer schönen Maserung auch über die Schwarte und eine dicke Fettschicht verfügt.
Das fertige Gericht besticht durch saftiges Fleisch, weiches Fett und eine knusprige Kruste. In der modernen umbrischen Küche hat sich neben dem Schwein auch die Porchetta so stark verbreitet, dass der Ausdruck „in porchetta“ gemeinhin für jegliche mit Knoblauch und Kräuter gefüllte Rollbraten verwendet wird.
Den Organisatoren des Festivals zufolge verdient es die Porchetta, als Gericht des Volks ins Scheinwerferlicht gerückt zu werden, während Luxusprodukte wie Trüffel, Schinken oder Parmigiano Reggiano-Käse bereits den ganzen Respekt und die Aufmerksamkeit der großen Welt der Kulinarik genießen.
„Street Food ist das Essen der Zukunft“, hat Antonio Boco, Mitbegründer von Porchettiamo einmal erklärt. „Essen, das wenig kostet, Grenzen überwindet und viele Menschen glücklich macht: Globaler geht‘s nicht!“